Nachruf auf Gerhart Baum
NachrufGerhart Baum, mit dem mich nach Verehrung aus der Ferne – nicht erst während seines Wirkens als Innenminister – inzwischen eine fast dreißig Jahre lang mich belebende, anregende, bereichernde und erfrischend belehrende Freundschaft verbunden hat, bleibt mir – und sicherlich nicht nur mir – erhalten als selbstloser Kämpfer für ein von Verantwortung und Menschenwürde im Geiste unseres Grundgesetzes geprägtes Selbstverständnis unserer Gesellschaft.
Begriffe wie Freiheit, Demokratie, Verantwortung, Glück waren bei ihm geladen und belebt, um mit Thomas Manns „Versuch über Schiller“ (aus dem Jahr 1955!) zu sprechen, von der Sorge um eine weithin „von Verdummung trunkene, ihrem schon gar nicht mehr ungewollten Untergang entgegentaumelnde Menschheit“.
Ich kenne unter den gegenwärtig wirkenden Politikern keinen einzigen, der so wie er erfüllt war von der Unverzichtbarkeit einer den bürgerlichen Horizont von Kunst öffnenden und belebenden Kultur als Oase und Zuflucht in einer weithin von Demagogie und verflachenden Geistfeindlichkeit gelähmten Demokratie.
Unbequem und seiner Partei entfremdet in einer Zeit unaufhaltsam heraufziehender Bedrohung unserer Zivilisation und nicht nur hierzulande zunehmend sich andeutender geistiger Verwahrlosung war und bleibt Gerhart Baum für mich nicht nur der kostbare, der Kunst als Genuss und Abenteuer begeistert zugewandte Freund, sondern zugleich eine einsame Lichtgestalt in seinem Kampf um die Bewahrung von jener Verantwortung, ohne welche Begriffe wie Freiheit, Demokratie, aber auch Kultur hohle, missbrauchbare und täglich missbrauchte Worthülsen bleiben.
Seine Kennzeichnung durch Franz Josef Strauß als „Sicherheitsrisiko für unser Land“ während Baums Wirken als Innenminister, der gegen den „großen Lauschangriff“ beim Bundesverfassungsgericht erfolgreich klagte, der mit RAF-Terroristen Gespräche führte, um die Situation verbrecherisch verformter Kinder der bürgerlichen Schicht ebenso besser zu verstehen wie die weithin unterschlagene Mitverantwortung einer per Verdrängung selbstgerechten Gesellschaft, geriet ihm letztlich zur Ehre als Rüttler an einer allenthalben in Gleichgültigkeit sich verbarrikadierenden „Sicherheit“, nicht zuletzt auch gegenüber den Verbrechen in Vietnam, in den mittel- und südamerikanischen Diktaturen und dem sozialen Elend in der Dritten Welt. Sein Engagement für Alexej Nawalny ebenso wie sein Engagement für Maria Kalesnikawa, auch sein entscheidendes Wirken als Vermittler im Hintergrund bei der endlich wenigstens andeutungsweise versuchten „Wiedergutmachung“ gegenüber den Hinterbliebenen nach dem Überfall auf die israelischen Sportler bei der Olympiade 1972 in München, aber auch sein Einsatz für die seinerzeit von der Corona-Krise existentiell bedrohten freiberuflichen Musikerinnen und Musiker und durchweg sein intensives Beharren auf jener Erinnerungskultur, gegen welche sich nationalistisch vergiftete Dummheit sträubt: Ich habe wie andere gleich mir Befreundete das alles ebenso mitbekommen wie anonyme Beschimpfungen und bei allem selber zugleich seine freundschaftlich teilnehmende Zuwendung erlebt und gespürt. Mein Misstrauen sah ihn am Ende durch die wohlmeinende Anhäufung von Ehrungen eher zurechtgefeiert, gar als Ikone zugleich verdrängt zur Genugtuung jener Bequemlichkeit, welcher hoffentlich der lernbereite Teil unserer Gesellschaft sich endlich entgegenstemmt. Niemals dürfen wir vernachlässigen, wofür er gekämpft und gelebt hat.
Leonberg, 15. März 2025
Helmut Lachenmann
