Kraftwerk. Die Mensch-Maschine
FundstückFundstück aus Synapse: The Electronic Music Magazine, Vol. 2 No. 6, Mai/Juni 1978
- Son, been wondering about this, ah, “screwing in” you kids are doing. This matter of shooting electricity into the head, ha-ha?
- Waves, pop. Not just raw electricity. That’s fer drips!
- Yes, ah waves. “Keying waves”, right? Ha-hah. Uh, tell me, son, what’s it like? You know I’ve been something of a doper all m’life, a-and –
- Oh pop. Cripes. It isn’t like dope at all!
- Listen Tyrone, you don’t know how dangerous that stuff is. Suppose someday you just plug in and go away and never come back? Eh?
- Ho, ho! Don’t I wish! What do you think every electrofreak dreams about? You’re such an old fuddyduddy! A-and who sez it’s a dream, huh? M-maybe it exists. Maybe there is a Machine to take us away, take us completely, suck us out through the electrodes out of the skull ’n’ into the Machine and live there forever with all the other souls it’s got stored in there. It could decide who it would suck out, a-and when. Dope never gave you immortality. You hadda come back, every time, into a dying hunk of smelly meat! But We can live forever, in a clean, honest, purified Electroworld.
Dieses Album ist ein klassisches Beispiel für Macht und wie man sie missbrauchen kann. Seit dem weltweiten Auftauchen dieser Band vor einigen Jahren haben die beiden Kraftwerk-Masterminds Hutter und Schneider ihrem „Mensch-Dynamo-Bildprojektor“ konsequent Exponenten über Exponenten hinzugefügt. Es geht darum, eine nicht besonders originelle Idee in ihrer Wirkung zu erweitern, indem man sie immer beunruhigender macht.
In der Tat wurde der Gedanke „Mensch-Maschine“ in den letzten hundert Jahren von verschiedenen fruchtbaren wissenschaftlichen und künstlerischen Köpfen genährt. Um die Jahrhundertwende schrieb beispielsweise Henry Adams eine Halbautobiografie mit dem Titel „The Education of Henry Adams“, ein Buch, das der Idee gewidmet war, dass die Zivilisation an der Schwelle zu einer enormen Veränderung stand, einer Veränderung, die weit über die für die damalige Zeit akzeptablen Vorgaben hinausging.
Die Essenz des Buches findet sich im Kapitel „Die Jungfrau und der Dynamo“, das von Adams’ Besuch der Weltausstellung in Chicago 1896 inspiriert ist. In der wissenschaftlichen Ausstellungshalle sah Adams eine große Anzahl elektrisch betriebener Erfindungen, die ihn zu der Frage veranlassten, was den Menschen zu dieser neuen Richtung inspirierte (im Gegensatz zu dem Funken, der zum Beispiel die großen Kathedralen von Köln oder Notre Dame inspirierte). Adams schrieb die Inspiration der geistigen Energie zu, die allen wahren Künstlern gemeinsam ist, der Gegenwart der Jungfrau, der Muse. Mit der Zersplitterung der Kirche verlor der Mensch die Gegenwart der Jungfrau/Muse und gleichzeitig die einzige Figur, die Wissenschaft und Kunst in enger Verbindung gehalten hatte.
Adams war jedoch der Ansicht, dass sich eine neue Homogenität in Form einer neuen Jungfrau oder elektrischen Muse verwirklichte. Da sie eine Schöpfung des menschlichen Fortschritts nach der Reformation ist und nicht an ihm teilnimmt, steht sie inmitten der menschlichen Verirrungen und nicht aus der Ferne.
Thomas Pynchon entwickelte diese Idee später in seinem Buch „V“ weiter, in dem sich die unschuldige viktorianische Heldin Victoria Wren allmählich in einen buchstäblichen Dynamo verwandelt und sich schließlich zu einem faschistischen Roboter entwickelt, der auf der Grundlage von Empfindungen funktioniert, die Empfindungen widerspiegeln. Pynchons dritter Roman, „Gravity’s Rainbow“, ging noch einen Schritt weiter, indem er die V-2-Raketen, die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs auf London fielen, als Symbol für das verwendete, was Arthus Koestler als „das Ende des Renaissance-Menschen“ bezeichnete.
Pynchon entwirft eine sehr komplexe Mythologie der Paranoia als Mittel zum Überleben in einer Welt, die seit der Reformation nicht mehr dieselbe ist. Pynchons letzte Projektion des Schicksals des Menschen reicht weit in die Zukunft, in die Raketenstadt, die von kalten, geschlechtslosen kleinen “Raketenmenschen” beherrscht wird.
An dieser Stelle treten Ralf und Florian in ihrer neuesten Inkarnation von Cyborg City auf. Die eröffnenden Sci-Fi-Anklänge von „The Robots“ münden in einen Mechano-Disco-Beat (zweifelsohne das Werk von Leanard Jackson, Norman Whitfields Haustechniker, der auf dem Album zu hören ist), der in kristalline Dioden-Beats und -Blips übergeht, unterbrochen von einer verschlüsselten Stimme, die verkündet „Ve ahre zuh R-r-ro-bahts...“. Jemand verdient eine Torte im Gesicht für diesen Einzeiler, der wie ein weiterer pynchonesker Albtraum von Cuddles Sakol in der Frankfurter U-Bahn klingt.
Weiter geht es mit „Spacelab“ und „Metropolis“. Der erste Song enthält den digital sequenzierten Beat, der Donna Summer berühmt gemacht hat, ergänzt durch leichte Moog-Charts im Hintergrund, während der Song in den zweiten übergeht. Starke Anklänge an Fritz Lang …
„Das neue Modul eilt zur Rettung der gestrandeten intergalaktischen Reisenden, während zehn Lichtjahre entfernt auf der Erde ein Mann in einem grauen Trenchcoat in einem Bonner Bahnhof steht und etwas zückt, das wie ein Feuerzeug aussieht …“
„The Model“ auf Seite zwei ist ein weiterer Backbeat-orientierter Kommentar auf die “Der Stern”-Mentalität, die “Showroom Dummies” hervorgebracht hat. Aber “Neon Lights” mit seinem Aufbau von Schichten in typischen Kraftwerk-Attacken von zitternder, phosphoreszierender Spannung scheint zu sagen, dass das Neue Deutschland vielleicht auch nicht so schlecht ist.
Der letzte Teil, „Die Mensch-Maschine“, ist eine minimalistische, dosierte Prosa, deren Qualität sowohl die Krux als auch das Problem des Bildes ist, das Schneider und Hutter für sich selbst geschaffen haben. Es ist das Bild einer Intelligenz, die sich danach sehnt, in die saubere, stille Elektrowelt einzutauchen, in der nichts Schlimmes passieren kann, weil alle elektrischen Ladungen im Universum gleich und gleich weit entfernt sind.
Kraftwerk nähern sich der Erwünschtheit dieses Zustands mit wenig oder gar keiner Besorgnis: Sie gehören bereits zur Rocket City. Die Frage, die sie aufwerfen, ist die, wie schnell wir dorthin gelangen werden. Das frühere Image der Gruppe als saubere Physikstudenten ist auf dem neuen Album durch Propaganda-Plakatgrafiken ersetzt worden, die überwiegend rot sind. Die Jungs tragen dazu passende rote Hemden, schwarze Krawatten, Pomade im Haar und Make-up und sehen aus wie Chorjungen aus einem hässlichen, nie veröffentlichten UFA-Musical unter der Regie von Leni Riefenstahl. Es ist diese unbekümmerte Befürwortung der Verschmelzung menschlicher Intelligenz mit Kräften, die der Mensch noch nicht vollständig kennt oder kontrollieren kann, die einem das Fürchten lehrt.
Die Möglichkeiten des elektromagnetischen Spektrums wurden gerade erst deutlich, als Henry Adams „The Virgin and the Dynamo“ schrieb. Das beängstigende Bild, das Kraftwerk - ob absichtlich oder nicht - zeichnen, ist das einer ungezügelten Technologie, einer Welt, in der Schwärme von begeisterten Ingenieuren um die größtmögliche Symbiose zwischen Mensch und Maschine wetteifern, einer Welt, die jedoch der rettenden Gnade von Sprache und Kunst beraubt ist. Was gesucht wird, ist eine Homogenität, die jeden Konflikt und damit jede natürliche und anthropologische Geschichte auslöscht: Die Raketenstadt. Ihre Philosophie hat die ganze Romantik der Entropie und macht die Elektrowelt dennoch auf clevere, kompetente und attraktive Weise zu einem erstrebenswerten Ort.
“What if there’s no vacuum? Or if there is – what if They’re using it on you? What If They find it convenient to preach an island of life surrounded by a void? Not just Earth in space, but your own individual life in time? What if it’s in Their interest to have you believing that?
“He won’t bother us for a while”, They tell each other.
“I just put him on the Dark Dream.” They drink together, shoot very very synthetic drugs into skin or blood, run incredible electronic waveforms into Their skulls, directly into the brainstem, and backhand each other, playfully, with openmouth laugh – you know, don’t you is in those ageless eyes … They speak of taking So-and-So and “putting him on the Dream”. They use the phrase for each other too, in sterile tenderness, when bad news is passed, at the annual Roasts, when the endless mindgaming catches a colleague unprepared – “Boy, did we put him on the Dream.” You know, don’t you?
Thomas Pynchon ”Gravity‘s
Rainbow,“ p. 698–99 © 1973
Viking Press
Übersetzt von Carter Williams
die deutsche wikipediaseite zum 1978 erschienenen kraftwerk-album „Die Mensch-Maschine“ vermerkt nüchtern: „Nach seiner Veröffentlichung erreichte das Album Platz 12 in Deutschland, 9 im Vereinigten Königreich und 130 in den Vereinigten Staaten.“
das fundstück, eine rezension des albums, die kurz nach dessen erscheinen von franc gavin im magazin synapse veröffentlicht wurde, erlaubt einen blick auf die vorbehalte, die die amerikanische öffentlichkeit dem weltentwurf der deutschen band gegenüber gehabt haben mag. das negative urteil liegt jedenfalls nicht an ästhetischer engstirnigkeit des magazins: die inzwischen online verfügbaren 14 ausgaben, die zwischen märz 1976 und juni 1979 erschienen, dokumentieren ein breites spektrum an interessen aus der frühzeit der rezeption elektronischer musik im kontext von DIY, synthesizern und studiogeräten und ästhetischen positionen. sie reichen von stockhausen über david behrman bis zu tangerine dream, um nur ein paar namen zu nennen. (hwk)